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Alles regional? Was verbirgt sich denn nun dahinter?

Supermärkte und Discounter schreiben es sich auf die Fahnen und Restaurants schreiben in ihre Speisekarten: Alles regional – aber was genau soll das eigentlich sein? Geht es dabei nur um die Herkunft aus der Region? Und entspricht das dann 50, 100 oder gar 200 Kilometer Entfernung? So wie es keine definierte Distanz für regionale Produkte gibt, gibt es auch keine Definition von Regionalität als Konzept. Jeder versteht etwas anderes darunter und trotzdem liegt es voll im Trend.

6/15/2018 - Regiothek Redaktion
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Alles regional? Was verbirgt sich denn nun dahinter?

Eine Region ist eine Region ist eine Region. So weiß zunächst keiner so genau, wo eine Region anfängt und wo sie endet. Einige Umfragen haben versucht, herauszufinden, wie Verbraucher ihre Region definieren. In einer Studie der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft aus dem Jahr 2013 sahen 50% der Befragten ihr Bundesland als ihre Region an und weitere 37% den Großraum ihrer Stadt. Auf Statista findet sich eine ganze Sammlung an Befragungsergebnissen zur Regionalität, laut derer im Jahr 2017 nur 15% ihr eigenes Bundesland als Region ansahen. Mit 38% die meisten Stimmen bekam hingegen der Umkreis bis 50 km als Regionsdefinition, gefolgt von dem Umkreis bis 100 km mit 23%.

Taucht man in die wissenschaftliche Literatur ein (z.B. Kögl & Tietze, 2010Sauter & Meyer, 2004; Wirthgen, 2005), so finden sich noch weitere Abgrenzungsmöglichkeiten – nach Verwaltungseinheiten, nach historischen Gebieten, nach bestimmten Ökosystemen oder Landschaften – und: auch die Distanz von 50-100 km taucht erneut auf. Ist das alo ein Wert, auf den man sich nun einigen könnte?

Regionalität ist ein subjektiver Begriff und kann mehr oder weniger weit gefasst sein.

Regionalität ist ein subjektiver Begriff und kann mehr oder weniger weit gefasst sein.

Bild: Regiothek

Schaut man auf die Anbieter regionaler Lebensmitteln, scheint das schwierig zu werden, denn in den Supermärkten finden sich ebenfalls ganz unterschiedliche Abgrenzungen. Es gibt Label wie das „Geprüfte Qualität Bayern“-Siegel, die sich, natürlich, auf das gesamte Bundesland beziehen oder supermarkteigene Marken, deren Zutaten aus einem Umkreis von 100 km bezogen werden. Das Regionalfenster wiederum fasst lediglich zusammen, wo die Zutaten herkommen und wo sie verarbeitet wurden. Die regionale Erweiterung zum Biokreis-Siegels, „regional & fair“, hingegen setzt einen Herkunftsumkreis von 200 km für Rohstoffe fest, der allerdings je nach Gewerbe zu unterschiedlichen Anteilen gilt. Darüber hinaus gibt es bei diesem Siegel zusätzliche Kriterien wie faire Arbeitsbedingungen, den Erhalt alter Sorten und Rassen oder auch die ökologische Wirtschaftsweise aus der Region. Sind wir da einem tieferen Sinn hinter der Regionalität auf der Spur?

Regionalität oder regionale Spezialität?

Erhalt alter Rassen, ökologische Bewirtschaftung – das klingt sehr nach traditioneller Arbeitsweise. Da gibt’s doch diese roten und blauen Siegel, auf dem Parmaschinken oder dem Parmesan, sagen Sie? Ja, die gibt es. Es sind die geographischen Herkunftsbezeichnungen der EU. Abhängig davon, wie viele der Herstellungsschritte in einer bestimmten Region stattgefunden haben und wie sehr die Region durch Klima, Böden und Tradition einen Einfluss auf die Qualität des Produktes hat, gibt es entweder das rote oder das blaue Zeichen. Aus dem Feinschmeckerland Italien stammen besonders viele Produkte, die eines der beiden Siegel tragen, doch auch aus Deutschland und Österreich sind bereits einige Spezialitäten registriert.

Verkauft werden diese Produkte allerdings in der gesamten EU oder sogar darüber hinaus. Die Siegel der EU sollen lediglich dafür garantieren, dass das Produkt tatsächlich aus der angegebenen Region stammen und keine billige Kopien sind. Doch bei Regionalität geht es nicht nur darum, wo ein Lebensmittel herkommt, sondern auch darum, was es zurückgeben kann. Ganz nach dem Motto „aus der Region, für die Region“. Handwerkliche Manufakturen können beispielsweise Arbeitsplätze schaffen, die in der industriellen Fertigung durch Maschinen ersetzt würden. Und regional festverwurzelte Landwirte nehmen Rücksicht auf Mensch und Umwelt.

Regionalität als Flucht aus der Industriefalle

In den Nachkriegsjahren war das Hauptziel der Politik, die Menschen vor weiteren Hungersnöten wie im Krieg zu schützen. Ein nobles Ziel, doch die Gemeinsame Agrarpolitik der EU setzte viele Anreize, die zu den viel zitierten Milchseen und Butterbergen führten, also einem absoluten Überschuss an Lebensmitteln. Auch die zunehmende Technologisierung hat viele traditionelle Höfe zerstört und andere in eine Tretmühle getrieben. Wer in neue Technologien investierte, konnte bald nicht mehr wirtschaftlich produzieren. Und wer einmal in eine technologische Neuerung investiert hatte, musste diese Investition über Jahre wieder abbezahlen. Wenn dann aber die nächste Innovation folgt, stand man vor der Wahl: erneut zu investieren und dafür Schulden zu machen oder nicht zu investieren und dadurch dem Produktivitätsfortschritt hinterherzuhinken. Gleichzeitig sanken Lebensmittelpreise stetig, so dass Landwirte in den letzten Jahrzehnten immer weniger Gewinn machten und finanziell förmlich ausgequetscht wurden.

Der Strukturwandel nach dem Zweiten Weltkrieg hat die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen in extrem kurzer Zeit revolutioniert. Unter den Zwängen der Rationalisierung müssen Höfe entweder verschwinden, oder nach neuen Alternativen Ausschau halten

Der Strukturwandel nach dem Zweiten Weltkrieg hat die landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen in extrem kurzer Zeit revolutioniert. Unter den Zwängen der Rationalisierung müssen Höfe entweder verschwinden, oder nach neuen Alternativen Ausschau halten

Bild: van der Ploeg et al., 2000

Einige Bauern haben sich deshalb für einen Ausstieg aus dem konventionellen System entschieden und sich Alternativen zugewandt. Alternativen, in denen der Lebensmittelproduktion wieder die Wertschätzung zuteil wird, die ihr zusteht, und welche so den Landwirten neue Einkommensquellen eröffnen. Die Bio-Produktion ist ein Beispiel dafür, denn sie achtet vorrangig auf die Gesundheit von Boden, Tier und dem gesamten Ökosystem, um so auch für den Menschen gesunde Lebensmittel herzustellen. Neben dieser Annäherung von wirtschaftlichen und natürlichen Kreisläufen ist auch die Nähe des Verbrauchers zur Produktion ein ganz bedeutender Faktor für den Erfolg regionaler Produkte.

Dem Guten so nah

Für den Verbraucher sind Zeit und Platz zwei Güter, von denen gefühlt immer zu wenig da ist. Das hat die Industrie erkannt und nicht nur Konservierungsmethoden entwickelt, die uns aufwendiges Einkochen und Einlegen ersparen, sondern auch eine unglaubliche Vielfalt an Fertiggerichten eingeführt, die sogar das alltägliche Kochen überflüssig machen. Dass diese Ernährung mit Industrie-Food weder sinnhaftig noch dauerhaft gesund sein kann, legt schon die lange Liste der unaussprechlichen Zutaten auf vielen Verpackungen nahe. Und doch haben viele Verbraucher durch jahrzehntelangen Verzehr von Industrienahrung und die damit verbundenen Werbebotschaften häufig den Bezug zu echten Lebensmitteln verloren.

Kein Wunder, dass wir uns als gesundheits- und umweltbewusste Feinschmecker nach etwas anderem sehnen. Vielleicht haben wir noch den Geschmack von Omas Küche auf der Zunge oder haben uns im Urlaub von der Zelebrierung des Essens begeistern lassen. Und da kommt die Regionalität ins Spiel: denn wer alles regional kauft, der hat ein Gesicht und eine Geschichte dazu – sei es auf dem Wochenmarkt oder im Hofladen, im Supermarkt oder im kleinen Tante-Emmer-Laden. Natürlich werden auf dem Wochenmarkt auch exotische Früchte aus Übersee verkauft und im Supermarkt die Regionen teils sehr weit ausgelegt. Doch überwiegt hier die gefühlte Nähe, nicht die geographische Distanz, die ein Produkt zurückgelegt hat.

Kuchen der Maria Manufaktur  Auf den Märkten in Deggendorf und Passau gibt es wöchentlich frische Kuchen. So etwas findet sich in keinem Supermarkt!

Kuchen der Maria Manufaktur Auf den Märkten in Deggendorf und Passau gibt es wöchentlich frische Kuchen. So etwas findet sich in keinem Supermarkt!

Bild: Maria Manufaktur.

Nähe ist also das Wort, mit dem sich Regionalität am ehesten definieren lässt. Die physische Nähe einerseits, die sich in kurzen Transportwegen, Frische und Saisonalität wiederspiegelt. Und die emotionale Nähe andererseits (z.B. Ermann, 2002), die dadurch entsteht, dass man weiß, von welchem Landwirt meine Karotte wie angebaut wurde. Da spielt auch die Geborgenheit in der eigenen Kultur eine wichtige Rolle. Denn manchmal helfen weder Pizza noch Asianudeln gegen den Hunger, da muss es einfach eine Brotzeit sein. Regional einzukaufen heißt aber überhaupt nicht, dass man, von der Welt abgeschottet, nur noch deutsche Hausmannskost isst. Viel mehr ist es eine Wertschätzung für die regionalen Traditionen rund ums Ernten und Kochen, sowie man auch Spezialitäten aus anderen Ländern für deren Besonderheit wertschätzt. Regionalität ist also eine Kampfansage gegen den globalisierten Einheitsbrei!

Leckeres aus der Region

Wenn Sie jetzt Lust bekommen haben, alles regional zu erschmecken, stöbern Sie doch mal auf der Seite der Regiothek nach Restaurants, in denen Sie zu ihrer Mahlzeit nicht nur ein Getränk, sondern auch eine Geschichte serviert bekommen. Zum Beispiel im Biowirtshaus Zum Fliegerbauer am Stelzhof, im Gasthaus Goldenes Schiff, in der Zweiten Heimat oder  dem Restaurant Kapellenhof bei Ringelai.

Zur Autorin: Olivia Spykman schreibt ihre Masterarbeit zur Bewertung von Regionalität bei Lebensmitteln im Landkreis Passau an der TU München.

 

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